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Tommy Finke: Ein Herz für Anarchie (Review)

Artist:

Tommy Finke

Tommy Finke: Ein Herz für Anarchie
Album:

Ein Herz für Anarchie

Medium: CD
Stil:

Deutschsprachiger Indie-Pop mit Revoluzzer-Prothese ohne wirklichen Biss

Label: Retter des Rocks Records/MusicStarter (Crowdfunding)
Spieldauer: 43:36
Erschienen: 28.07.2017
Website: [Link]

Selten konnte ein Album ungünstiger erscheinen als dieses!
Ach, du Scheiße!
Betrachtet man die Vorgänge vom vergangenen Wochenende rund um den G20-Gipfel in Hamburg, bei dem linksextreme Anarchos für bürgerkriegsähnliche Zustände in Hamburg sorgten, während sich selbstbeweihräuchernde Politiker Beethovens 9te samt freudeschönem Götterfunken reinzogen, dagegen aber gänzlich überforderte Polizisten, die mal wieder zwischen allen Stühlen saßen und wortwörtlich direkt und im übertragenen Sinne Prügel von und für die Anderen einstecken mussten, dann erscheint der Titel des aktuellen Albums von TOMMY FINKE in einem völlig neuen Licht, das es nicht mehr so „cool revoluzzermäßig“ klingen lässt, wie es wohl Finkes Absicht war: Ein Herz für Anarchie!
Dann aber sowas!?!?
Das ist doch alles gar nicht so gemeint!
Das wird einem sofort beim ersten Hördurchgang des extrem weichgespülten „Ich-erinnere-mich-an-meine-erste-Liebe-die-ich-plötzlich-wiedertreffe“-Songs umgehend klar.
Schon dieses schrecklich nervende „Oh-Ho-Oh-Ho!“ hat mit Anarchie in etwa genauso viel zu tun, wie die katholische Kirche mit der Homo-Ehe. Zur Anarchie gehört eben auch Punkiges, aber definitiv keine „Oh-Ho-Oh-Ho“-Chöre, welche auch noch permanenten Wiederholungen unterliegen. Hier wirft ein Musiker statt mit einem musikalischen Molotow-Cocktail mit ein paar Oh-Wattebäuschchen und noch mehr Ho-Tempotaschentüchern um sich. Zumindest sind dieser Song, das dazugehörige Video, der Text und der Album-Titel die klingende Antithese der Erwartungen, die „Ein Herz für Anarchie“ im ersten Moment wecken.

Doch hat man erst einmal seinen ersten Schreck über die Streichereinsätze und unerfüllten Erwartungen überwunden, dann verbreitet TOMMY FINKE mit seinen feuchtfröhlichen Songs, deren Texte durchaus reizvoll und politisch hintergründig, aber immer liebesleidenschaftlich sind, mitunter einige Freude beim Hören, vorausgesetzt natürlich, man hat gerade immer mindestens einen Fuß zum freudvollen Mitwippen frei. Wen wundert‘s da also, dass nach der liebestollen Anarchie mit „Der Himmel über Berlin“ ein weiterer liebestoller Mauer-Einreißer mit 89er-Mauerfall-Erinnerungen folgt?
Nur warum klingen die Rhythmen dann ab Song 3 „Strukturwandel (In der Mitte fehlt der Fluss)“ so austauschbar. Flott! Tanzbar! OhHoHoHo! Das nervt irgendwann!

Merkt denn das der Tommy nicht,
wenn er in seinen Texten zu uns spricht?
Singend eine Botschaft stets bereit,
doch walzt er sie mit Oho (oder OMO?) breit!

So (oder ähnlich) möchte man ihm dichtend entgegentreten, Oh-Ho-Ho, das ist was für den Nikolaus und den Weihnachtsmann, aber nicht wenn man in seinen Texten feststellt: „Reißt alles ab, brennt alles nieder, die Revolution frisst eure Kinder!“
Also, wenn das der gute RIO REISER, der am Ende noch mit dem Covertitel von „Halt dich an deiner Liebe fest“ gewürdigt wird, noch erleben und seine TON STEINE SCHERBEN furzpunkig hinnehmen müssten, dann würden sie wohl so was sagen wie: „Du verfolgst da eine wirklich gute Absicht, lieber Tommy, aber wenn deine Texte radikal klingen sollen, darfst du sie nicht mit banalen, tanzbaren Rhythmen dauerhaft verwässern! Entscheide dich gefälligst für das, was dir wichtiger ist. Die Kombination aus beidem, wie du es auf ‚Ein Herz für Anarchie‘ versuchst, funktioniert nicht!“
Und ob DAVID BOWIE, wenn er noch leben würde, einen Song wie „David Bowie“ ertragen würde, der zu fast fröhlichen Melodiebögen, die Zeilen: „David Bowie ist tot, David Bowie ist tot, das kommt nie wieder ins Lot...“, enthält, ist die große Frage. Wer jedenfalls auf die Bowie-Berlin-Trilogie („Low“, „Heroes“, „Lodger“) steht, kann da nur sagen: „Ground Control To Major Tom(my) – bleib gefälligst auf dem Boden und hebe nicht so ab! Das ist gefährlich, fast pubertär. Und OhHOHoOhScheiß auch noch!“

Was dagegen wirklich funktioniert, sind die Liebeslieder, auch für die bereits Verflossene, die sich den schrecklichen Tanz-Rhythmen verweigern und einen so wundervollen Refrain wie in „Lavendel“ offenbaren: „Bist du grad in Afrika? Oder doch nur in Berlin? Riechst du noch immer nach Lavendel? Oder nach Benzin?“
Oder das ganz große Finale: „Das nächste Jahrhundert“. Wäre doch das ganze Album auf dem Niveau der beiden Songs ausgefallen, unser TOMMY FINKE würde vielleicht auch solch älteren Herren wie mir gefallen und nicht nur seinen heranwachsenden Schülerinnen, die man noch mit zwei sich ständig wiederholenden Buchstaben beeindrucken kann.
Vielleicht solltest du es ja doch besser mit RIO REISER halten, lieber Tommy: „Wenn es bei Rockmusik um etwas geht, dann um Ekstase!“
Nun also bist du dran, wie‘s weitergeht: ekstatischer Rocker mit Revoluzzer-Attitüde oder Pop-Sänger mit Rhythmus-Gefühl.
Entweder – oder? Das ist hier die Frage! Nicht: „Sowohl als auch!“

FAZIT: Oh-Ho-Ho! Er will der kleine RIO REISER sein, ist aber nur der gut Indie-Pop-Barde mit Texten zwischen richtig gut und ziemlich peinlich. Das aktuelle Album „Ein Herz für Anarchie“ von TOMMY FINKE setzt sich zwischen die Stühle aus banalem Pop und pfiffigem Rock mit fetzigen Botschaften. Leider überwiegt trotz des provokanten Titels der banale Pop noch überdeutlich.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 2881x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 8 von 15 Punkten [?]
8 Punkte
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Tracklist:
  • Ein Herz für Anarchie
  • Der Himmel über Berlin
  • Strukturwandel (In der Mitte fehlt der Fluss)
  • Die Revolution
  • 9-Volt-Blockbatterien
  • Zerbrechlich
  • Lavendel
  • Bei lebendigem Leibe verpennen
  • Jüngstes Gericht
  • David Bowie
  • Das nächste Jahrhundert
  • Halt dich an deiner Liebe fest

Besetzung:

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